das hier wird wohl was Längeres. Bin grade wie wild am Texten, hab sozusagen Schreib-Diarrhoe

Hier mal die ersten / aktuellsten Ergebnisse. Im Moment schreibe ich am Kapitel 20 - keine Ahnung, wann der Drang wieder abflaut. Eine Long-Story passt aber ganz gut zur Ferien- und Sommerzeit, egal, ob man selbige in der Südsee oder auf dem Sofa zu Hause verbringt.
Also - viel Spaß beim Lesen!
Nefud - Teil 01 von weissnichtwievielnochkommen
#1
Das Erste, was ich entdeckt hatte, war ein Häufchen.
Links neben dem hintersten Rad. Auf einem gut handtellergroßen feuchten Flecken.
Eigentlich nur ein kleines Würstchen, fingerlang und kaum dicker als mein Daumen. Das eine Ende dunkel und hart, das andere weicher, spitz zulaufend.
Es hätte auch von einem Hund oder einem Fuchs stammen können. Dafür sprach auch, dass es kein zerknülltes Papier oder Taschentuch in unmittelbarer Nähe gab. Aber aus irgendeinem Grund war mir gleich klar, dass es einen menschlichen Ursprung hatte.
Ich checkte rasch die anderen 7 Räder meines Trucks, warf auch einen flüchtigen Blick unter das hochbeinige Ungetüm, in dem ich lebte. Weiter nichts Ungewöhnliches zu sehen.
Das Expeditionsmobil mit seinen vier angetriebenen Achsen und Rädern, die mir fast bis zur Brust reichten, bot natürlich einige Versteckmöglichkeiten unter seinem Aufbau.
Aber so spontan wie mir klar war, dass das Würstchen von einem Menschen stammen musste, so sicher war ich mir auch, dass es nicht klug wäre, die Suche jetzt intensiver fortzusetzen.
Stattdessen kletterte ich in die Wohnkabine und startete meinen Laptop.
Loggte mich in meinen Bord-Server ein und rief die Cam-Station auf. Seit ich einmal Ärger mit Grenzsoldaten in Ungarn hatte, die mir Schmuggelware zwischen die Stoßdämpfer platzierten, überwachten unauffällige Web-Cams meinen Truck auf allen Seiten.
Ich wählte die linke Frontcam und spulte ein paar Stunden im Schnelllauf zurück.
Um 02:12 Uhr war das Würstchen aus dem Bild verschwunden. Also langsam wieder vorwärts.
Ein dunkler Schatten — und da lag es wieder.
Etwas zurück, dann in Slow-motion vorwärts.
Der Bildausschnitt war grobkörnig und schwarz-weiss, aber die unsichtbaren Infrarot-Scheinwerfer erfüllten ihren Zweck.
Ein Schatten ragte ins Bild, ganz kurz und verschwommen ein Gesicht im Profil. Dann kroch jemand zwischen den beiden hinteren Achsen des Trucks heraus, kauerte sich neben das Rad.
Leider verdeckte ein unförmiger Umhang alle Konturen. War das etwa das Badetuch, das ich seit ein paar Tagen vermisste?
Wenige Sekunden später war der Schatten wieder verschwunden, und nur die kleine Hinterlassenschaft ließ erkennen, dass sich hier gerade jemand erleichtert hatte.
Ich spulte noch mehrmals vor und zurück, spielte mit der Geschwindigkeit und regulierte den Kontrast. Mein Badetuch konnte ich nun zweifelsfrei identifizieren, aber weder das Profil wurde deutlicher, noch konnte ich das Geschlecht erkennen. Klar war nur, dass es eine ziemlich kleine, zierliche Person sein musste.
Mir fielen die Dinge ein, die ich während der letzten Tage immer mal wieder vermisste: Ein Kanten Brot, ein Glas Oliven, eine halbe Flasche Limo. Das Badetuch. Nur Kleinigkeiten, nichts, was mich beunruhigte. Wenn ich überhaupt das Fehlen bemerkt hatte, dann hatte ich es eher auf meine eigene Schusseligkeit geschoben.
Doch nun ließ sich die Tatsache kaum länger ignorieren: Ich hatte einen Untermieter, der im Chassis meines mobilen Zuhauses lebte.
Ein Landstreicher? Ein Tippelbruder, der tagsüber in der Stadt bettelte und nachts unter meinem Truck nächtigte?
Bestimmt wäre es leicht, den ungebetenen Gast loszuwerden. Einmal ordentlich Krach machen, mit der Taschenlampe jeden Winkel ausleuchten. Den 600-PS-Motor laufen lassen. Das würde ihn bestimmt vertreiben.
Aber ich war neugierig. Wollte den Kerl lieber herauslocken, ihn genau betrachten. Vielleicht ein Schwätzchen halten, ihm zeigen, dass ich kein Unmensch bin.
Jetzt am Vormittag ist er bestimmt nicht da, dachte ich mir. Ich beschloss, mich aufs Rad zu schwingen und einige Kilometer die Küste entlang zu strampeln. Auf dem Rückweg würde ich meine Einkäufe erledigen und mir einen Plan zurecht legen.
Natürlich schloss ich sicherheitshalber alle Fenster und Luken meines rollenden Zuhause, schaltete die Alarmanlage scharf und checkte die Außen-Kameras.
Als ich am späten Nachmittag zurückkam, war einiger Betrieb auf dem Camper-Platz. Drei dänische Wohnmobile hatten eine Ecke belegt und ein alterndes Hippie-Pärchen in einem rostigen VW-Bus mit Wiesbadener Kennzeichen suchte unter einem dürftigen Baum Schatten.
Normalerweise war ich einigermaßen leutselig, machte Small Talk und beantwortete bewundernde Fragen zu meinem Truck.
Heute gab ich mich kratzbürstig. Wimmelte die Camper ab und verstaute meine Einkäufe.
Zwei Flaschen Bier ließ ich im Schatten des Vorderrads zurück und machte mich drinnen ans Kochen: Gyros-Pfanne mit Reis. Dazu frischer Tomaten-Rucola-Salat. Die doppelte Menge, die ich normalerweise für mich selbst zubereitet hätte.
Ich trug alles ins Freie und setzte mich zum Essen an meinen Klapptisch. Verstohlen linste ich zum Vorderrad hinüber — und war enttäuscht, die Bierflaschen unberührt und inzwischen warm geworden dort stehen zu sehen. War mein Untermieter etwa nicht „zuhause“?
Ich packte die Essensreste in Tupperdosen und ließ sie auf dem Tisch stehen. Holte mir ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank und setzte mich in einiger Entfernung ans Wasser.
Nicht, dass die Umgebung hier am Hafen besonders einladend wäre. Die Granitblöcke und Betonbewehrungen der Hafeneinfahrt waren zweckmäßig, aber häßlich. Zwischen den Steinen dümpelte der Plastikmüll aller Küsten. Der neu angelegte städtische Wohnmobil-Stellplatz mit der schmucklosen Klo-Baracke gleißte dröge in der Sonne. Lediglich am Rand der Schotterfläche standen ein paar mächtige alte Bäume, die etwas Schatten spendeten. Unter einem davon machte sich mein Truck breit. Auch eher wuchtig, als schön anzusehen.
Bevor ich noch tiefer in trübe Gedanken versank, raffte ich mich auf, leerte die Flasche und schlenderte zum Wohnmobil zurück.
Sofort hellte sich meine Stimmung auf: Eine der Tupperdosen war verschwunden! Auch die Wasser-Karaffe, die ich stehen gelassen hatte, fehlte.
Was war das für ein komischer Vogel, der das Bier verschmähte und stattdessen das Wasser mitgehen ließ?
Spontan entschloss ich mich, der Sache nun auf den Grund zu gehen. Ich krabbelte unter den Truck. Sofort stellte sich die wohlbekannte Beklemmung in engen Räumen ein. Der Geruch nach Gummi und Stahl, die 36 Tonnen Gewicht über mir und das unwirkliche Gefühl, das Monstrum könnte jeden Moment losrollen, waren kaum auszuhalten.
Ich zwang meine Konzentration auf den Tippelbruder zurück, den ich aufzustöbern gedachte. „Hallo?“, krächzte ich und dann noch einmal lauter: „Ist da jemand?“
Nichts rührte sich.
Hinter den beiden Dieseltanks entdeckte ich einen einzelnen, halb verwischten Fußabdruck im Staub. Hatte sich hier jemand in die Höhe gestemmt?
Mühsam quetschte ich mich zwischen Differentialgetriebe und Antriebswelle hindurch — und stieß unvermittelt auf einen Hohlraum.
Dunkel erinnerte ich mich, dass der Aufbau an dieser Stelle eine Aussparung für den Gastank hatte. Der Hersteller des Wohnmobils hatte sich damals dafür entschuldigt, dass der ursprünglich geplante Druckbehälter nicht lieferbar sei, und der Ersatz irgendwie anders montiert werden musste. Mich hatte das wenig interessiert.
Zwischen Tank und Bodenplatte war jedenfalls eine Lücke entstanden, in der sich ein klein gewachsener Mensch halbwegs ausstrecken konnte.
Ich hatte das Schlafzimmer meines Untermieters gefunden.
Von dem mysteriösen Bewohner war allerdings nichts zu sehen. Mit der Mini-Taschenlampe an meinem Schlüsselbund leuchtete ich in die Nischen ringsum. Und entdeckte außer meinem zusammengeknüllten Handtuch noch eine angebrochene Packung Kekse, eine Tüte Chips und das inzwischen nur noch halb volle Glas Oliven.
Ich ließ alles unberührt und kroch mühsam wieder ins Freie. Jetzt hatte ich zumindest eine Vorstellung davon, wo der unbekannte Typ nächtigte.
...hier geht’s weiter