7.
âWer oder was seid Ihr eigentlich?â, krächzte sie matt.
Ich schĂźttelte den Kopf. âZuerst bist du dran! Wer bist du?â, wollte ich wissen, âdu kämpfst wie ein Krieger, aber zu einem Mann fehlen dir eindeutig gewisse KĂśrperteile.â
Sie stĂśhnte erneut, wurde sogar ein bisschen rot.
âAntoine ist mein Spitznameâ, begann sie leise, âeigentlich heiĂe ich Antoinette.â
âDâAmiens?â, fragte ich.
âJa und nein. Mein älterer Bruder Godefroid trägt den Titel Comte dâAmien. Ich bin nur Antoinette.â
âUnd die Geschichte mit deinem Onkel in Mainz?â, bohrte ich weiter.
âDie stimmt. Mein Onkel hat nur SĂśhne und sah keine Veranlassung, extra fĂźr ein Mädchen eine Erziehung zu organisieren. Also habe ich kämpfen gelernt, wie meine Cousins. Ich kann sogar lesen und schreiben!â, trumpfte sie auf. Das war nun wirklich bemerkenswert fĂźr eine junge Frau in dieser Zeit.
âUnd wieso bist du nicht mehr in Mainz?â
âIch war die letzten Monate im Kloster. Im Herbst sollte ich die GelĂźbde ablegen. Da bin ich ausgerissen und habe mich als Mann durchgeschlagen.â
âNa, so wie du zu fluchen verstehst, hättest du es doch sicher Ruck-Zuck zur Ăbtissin gebrachtâ, neckte ich sie. Sie lächelte und winkte matt ab.
Sekunden später war sie eingeschlafen.
Es blieben noch viele Fragen offen, aber die mussten warten. Wir wĂźrden sicher noch ein paar Tage hier verbringen mĂźssen, deshalb sicherte ich, so gut es ging, unser kleines Camp. Die drei Leichen, die noch immer in der Nähe lagen, zerrte ich durch dichtes GebĂźsch und lieĂ sie in einem morastigen TĂźmpel versinken. Es war nicht so, dass ich hier eine staatsanwaltliche Untersuchung fĂźrchtete, aber das GefĂźhl, dass Leichen in der Nähe des Lagers herumlagen, war einfach unangenehm. Die Armbrust, mit der einer der Drei auf mich geschossen hatte, betrachtete ich genauer. Sie war schlecht verarbeitet und der Schusskanal verzogen. Ăberhaupt waren die Kerle ärmlich gekleidet und hatten nichts von Wert bei sich. Ich konnte davon ausgehen, dass es sich um gewĂśhnliche Wegelagerer handelte und dass kein gezielter Mordanschlag gegen mich oder Antoinette dahinter steckte.
Als ich wieder zurßckkehrte, war meine Begleiterin wach. Sie zitterte am ganzen KÜrper und ihre Haut war heià und trocken. Auch ohne Thermometer wusste ich, dass das Fieber stieg. Ich hielt ihr einen Becher mit sauberem Wasser und einigen Tropfen Wein an die Lippen, sooft sie mich darum bat. Alle paar Stunden gab ich ihr Antibiotika und Schmerzmittel, die auch das Fieber senken sollten. Trotzdem näherte sich die Temperatur gegen Abend der 41 °C-Marke.
âWenn die moderne Medizin nicht hilft, helfen Hausmittelâ, hĂśrte ich in Gedanken meine GroĂmutter sagen. Und wirklich: Mit Wadenwickeln konnte ich ein weiteres Ansteigen des Fiebers verhindern.
Gegen Morgen musste ich eingenickt sein. Antoinettes Räuspern weckte mich. Ihre Augen waren klar und wirkten fieberfrei.
âWenn Ihr nicht wollt, dass ich Eure Hosen nass mache, mĂźsst Ihr mir helfenâ, krächzte sie heiser.
Zum ersten Mal fiel mir auf, dass sie dunkelgrĂźne Augen hatte.
Vorsichtig streifte ich die Hose herab. Aber so sehr ich mir auch MĂźhe gab, konnte ich doch nicht verhindern, dass sich dabei die Wunde bewegte. Sie stĂśhnte, aber endlich war es geschafft.
âUnd jetzt?â, fragte ich ratlos.
âGrabt ein Loch in den Boden und zieht mich darĂźberâ, stieĂ sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
Der Untergrund war weich, sodass es kein Problem war, neben ihrer Matte eine handtiefe Mulde auszuheben. Der Urin hatte eine rĂśtlich-dunkelgelbe Farbe, wie ich besorgt feststellte, und das Pinkeln bereitete ihr sichtlich Schmerzen. Aber dann war es geschafft und erleichtert entspannte sie sich. Ich wusch sie, half ihr zurĂźck auf die Matte und schĂźttete das Loch wieder zu.
âJetzt sollte ich mir deine Verletzung ansehenâ, sagte ich. Vorsichtig lĂśste ich Verband und Pflaster. Die Naht sah gut aus. Die Wundränder waren leicht gerĂśtet, aber es waren keine Anzeichen einer EntzĂźndung oder gar von absterbendem Gewebe auszumachen.
Auch Antoinette musterte mein Werk anerkennend. âDas habt Ihr gut hinbekommenâ, lobte sie mich, âseid Ihr ein Bader oder Medicus?â
Nein, nicht ganz. Ein medizinischer Grundkurs war Teil meiner Ausbildung zum Zeit-Agenten gewesen, aber das wäre jetzt zu kompliziert zu erklären gewesen âŚ
âIch bin hundemĂźdeâ, lenkte ich sie ab, âlass uns ein Nickerchen machen.â
âJa, schlaft ruhigâ, sagte sie, âich werde so lange wachen.â
âDas brauchst du nicht. Wir werden es rechtzeitig merken, falls sich uns jemand nähert.â
Ich gähnte ausgiebig und streckte mich neben ihr aus.
Die Schatten wurden bereits länger, als mich das durchdringende Fiepen des Annäherungs-Alarms aus wirren Träumen riss. Schlagartig war ich wach, entsicherte mein SchieĂeisen und versuchte, durch das dichte GebĂźsch etwas zu erkennen. Lautlos schlich ich mich in die Richtung, die die Elektronik anzeigte. Als ich vorsichtig die Zweige auseinanderbog, mĂźmmelte ein kapitaler Hase an einem GrasbĂźschel.
Ein Kopfschuss beendete sein Leben und bescherte uns ein leckeres Abendessen.
Dazu leerten wir einen der mitgebrachten Ziegenlederschläuche. Der Wein war etwas abgestanden und entschieden zu warm, aber am romantisch verglimmenden Lagerfeuer erfßllte er seinen Zweck.
âIhr habt mir immer noch nicht gesagt, wer Ihr wirklich seid, Meisterâ, begann Antoinette, nachdem sie sich einen Ruck gegeben hatte.
DafĂźr, dass sie mir das Leben gerettet hatte, hatte sie verdient, dass sie die Wahrheit Ăźber mich erfuhr, fand ich. Auch wenn das natĂźrlich einen groben VerstoĂ gegen alle Vorschriften der Tempus-Organisation darstellte.
Ich sammelte also meine Gedanken und begann zu erzählen.
Etwas weitschweifig, wie ich zugeben muss.
Sie unterbrach mich kein einziges Mal, stellte keinerlei Zwischenfragen, obwohl aus ihrer Sicht Zeit-Expeditionen und alles, was damit zusammenhing, vĂśllig unglaublich klingen mussten.
Erst als ich leises Schnarchen vernahm, wurde mir klar, dass sie eingeschlafen war.
Vielleicht sollte ich bei Gelegenheit an meiner Redekunst arbeiten ...
TĂźrchen 7
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Re: TĂźrchen 7
bluemoon hat geschrieben: Vielleicht sollte ich bei Gelegenheit an meiner Redekunst arbeiten ...



Also an deiner Schreibkunst definitiv nicht!
Viele GrĂźĂe von
lunacy
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Re: TĂźrchen 7
..naja, es gibt durchaus Leute aus der rauf-rein-raus-runter-Fraktion, denen ich viel zu langatmig schreibe. 

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Re: TĂźrchen 7
Als ob uns die interessieren wĂźrden...bluemoon hat geschrieben:..naja, es gibt durchaus Leute aus der rauf-rein-raus-runter-Fraktion, denen ich viel zu langatmig schreibe.

Viele GrĂźĂe von
lunacy
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Re: TĂźrchen 7
Wohlfeil gesprochen, wie geschrieben . . . und wie der gute Blue-Moon es schafft, das Thema Klogeschichten wie selbstverständlich in jeder Tßrchen-Geschichte zu verweben . . . also auch mich darfst Du zu Deiner begeisterten Leserschaft zählen, die lieber "rauf-rein-warten-lesen-warten-nachdenken-warten-weiterlesen-lachen-warten-lesen-schmunzeln-zu-Ende-lesen-raus-runter" gehÜren . . . ha, ha, ha