Der Abend hatte friedlich begonnen. Es roch nach Glühwein, nach Bratwurst, nach Zucker und Rauch. Die Luft war kalt und trocken, so dass jeder Atemzug wie ein kleines Glas Klarer durch die Lungen zog. Menschen schoben sich aneinander vorbei, dick eingepackt in Schals, Mützen, Jacken – freundlich, aber anonym. Ein Lichtermeer aus warmem Gelb spannte sich zwischen den Buden, wo handgeschnitzte Krippen neben billigem Christbaumschmuck um Aufmerksamkeit konkurrierten. Ich trank zwei Becher Glühwein – etwas zu schnell – und aß dazu eine Portion Spätzle, die mehr nach Zwiebel als nach Weihnachten schmeckte. Aber es war gemütlich, ich hatte Zeit, und für einen Moment schien alles ruhig.
Doch dann – ein erster Impuls, kaum wahrnehmbar. Ein Drücken tief im Unterleib, vage, noch ignorierbar. Ein inneres Klopfen, das sagte: "Bald." Ich ging weiter, kaufte mir eine gebrannte Mandel, kaute langsam, als könnte ich damit das Unvermeidliche vertreiben. Doch der Druck blieb. Und er wuchs. Nicht schnell, aber unnachgiebig. Mit jedem Schritt wurde er körperlicher, präsenter, unausweichlicher.
Es war kein Gefühl mehr – es war eine Tatsache.
Ich versuchte, ruhig zu bleiben. Suchte mit den Augen nach einem Schild, einem Hinweis, einer rettenden Tür. Doch der Markt war kompakt – zu klein für öffentliche Toiletten, zu improvisiert für einen fest installierten WC-Wagen. Ich fragte bei einem Stand mit Holzspielzeug – der Verkäufer zuckte nur die Schultern. "Gibt’s leider nicht", sagte er. "Höchstens beim Aufbau hinten... aber da kommt man nicht hin."
Mein Körper ignorierte diese Information. Er wollte nur eins: Erleichterung. Und zwar dringend.
Ich verließ den Markt mit diesem typischen, merkwürdig verkrampften Gang, den man unbewusst annimmt, wenn man beides – Urin und Stuhlgang – gleichzeitig unterdrücken muss. Der Unterleib angespannt wie ein Seil, die Schritte kurz, der Blick konzentriert. Ich atmete flach, denn jeder tiefere Atemzug hätte zu viel Bewegung in den Bauch gebracht.
Am Parkplatz angekommen, sah ich sie: Eine Reihe Tannen, dicht gewachsen, am Rand, dort wo der Asphalt ins Dunkel überging. Und ich wusste: Das ist meine Chance.
Ich überquerte den Platz, bog zwischen zwei Bäume, tauchte ein in das halbdunkle Dickicht. Die Äste streiften meine Jacke, der Boden unter den Füßen war weich, fedrig, von Nadeln gepolstert. Ich ging noch ein paar Schritte weiter, bis ich sicher war, dass mich niemand sehen konnte. Kein Licht, keine Bewegung, nur die knisternde Stille des frühen Winters.
Ich drehte mich leicht seitlich, zog mit zitternden Fingern die Hose herunter und hockte mich. Die Kälte kroch mir sofort in die Knie, aber das war nebensächlich. Kaum war ich in Position, ließ mein Körper los – ohne Zögern.
Zuerst kam der Urin – heiß, drängend, unkontrolliert. Es war, als hätte ich einen Staudamm geöffnet. Ein kraftvoller Strahl schoss auf den Boden, prasselte in einem pulsierenden, gleichmäßigen Geräusch auf die Nadeln. Es zischte fast, als würde der Frost darunter widerwillig schmelzen. Der Druck ließ langsam nach, aber der Strom riss nicht ab. Ich musste mich leicht nach hinten lehnen, um meine Schuhe zu retten – ein schwieriger Balanceakt im Hocken. Der Dampf stieg sichtbar auf, vermischte sich mit dem Atem, der mir stoßweise aus der Kehle kam.
Ich pinkelte lange. Länger, als ich erwartet hatte. Mein Körper hatte offenbar mehr gespeichert, als mir bewusst war. Die Erleichterung war so unmittelbar, so überwältigend, dass ich kurz die Augen schloss. Es war roh, unangenehm, aber auch notwendig – fast archaisch. Kein Klo – nur ich, die Tannen, und der kalte, dampfende Boden.
Und dann meldete sich der zweite Teil.
Ein tiefes, massives Grollen aus dem Darm. Ich spürte, wie mein Körper bereit war, das nächste Kapitel zu öffnen. Ich atmete tief durch, konzentrierte mich, und dann… kam es. Erst langsam, dann schwerer. Ein dicker, warmer Strang, der sich gleichmäßig aus mir herauspresste. Ich spürte jeden Zentimeter, wie er sich löste, sich dehnte, warm zwischen meinen Pobacken entlangglitt und mit einem feuchten, dumpfen Platschen auf den Boden klatschte.
Ein Moment völliger Stille.
Dann noch ein Nachzügler – weicher, flacher. Gefolgt von einem kurzen, kaum hörbaren Windstoß aus dem Allerwertesten. Ein trockener Pups, fast ein Echo, als letzte Verbeugung meines Darms.
Ich blieb noch einen Moment in der Hocke. Nicht aus Scham, sondern weil mein Körper Zeit brauchte. Die Muskeln zuckten leicht nach, als wollten sie sicherstellen, dass wirklich alles draußen war. Ich atmete durch, fühlte mich leer, aber auf eine seltsame Weise vollständig. Es war unangenehm. Es war absurd. Aber es war auch eine Form von Frieden.
Ich griff in meine Jackentasche, fand zwei zerknüllte Papiertaschentücher vom Essen – nicht viel, aber genug. Ich wischte mich ab – vorne zuerst, dann hinten, vorsichtig, aber gründlich. Die Finger froren leicht, die Haut war empfindlich. Ich wickelte das benutzte Tuch ein und schob es unter eine Hand voll Nadeln und Laub, trat mit dem Fuß ein paar Äste darüber. Keine Schönheit, aber Diskretion war alles.
Dann zog ich die Hose wieder hoch, langsam, mit zitternden Knien. Ich trat zurück auf den Parkplatz, als wäre nichts gewesen – das Gesicht entspannt, die Bewegungen wieder flüssiger. Der Druck war weg. Der Glühwein schmeckte in der Erinnerung wieder süßer.
Tanne im Advent
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Re: Tanne im Advent
Ich hab ja neulich gesagt, ich erschösse den ersten, der mir vor Dezember was von Weihnachten erzählt. Du hast wirklich Glück, dass die Story doch ganz gut ist 

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