Türchen 7
Verfasst: 07 Dez 2014, 07:26
7.
„Wer oder was seid Ihr eigentlich?“, krächzte sie matt.
Ich schüttelte den Kopf. „Zuerst bist du dran! Wer bist du?“, wollte ich wissen, „du kämpfst wie ein Krieger, aber zu einem Mann fehlen dir eindeutig gewisse Körperteile.“
Sie stöhnte erneut, wurde sogar ein bisschen rot.
„Antoine ist mein Spitzname“, begann sie leise, „eigentlich heiße ich Antoinette.“
„D’Amiens?“, fragte ich.
„Ja und nein. Mein älterer Bruder Godefroid trägt den Titel Comte d’Amien. Ich bin nur Antoinette.“
„Und die Geschichte mit deinem Onkel in Mainz?“, bohrte ich weiter.
„Die stimmt. Mein Onkel hat nur Söhne und sah keine Veranlassung, extra für ein Mädchen eine Erziehung zu organisieren. Also habe ich kämpfen gelernt, wie meine Cousins. Ich kann sogar lesen und schreiben!“, trumpfte sie auf. Das war nun wirklich bemerkenswert für eine junge Frau in dieser Zeit.
„Und wieso bist du nicht mehr in Mainz?“
„Ich war die letzten Monate im Kloster. Im Herbst sollte ich die Gelübde ablegen. Da bin ich ausgerissen und habe mich als Mann durchgeschlagen.“
„Na, so wie du zu fluchen verstehst, hättest du es doch sicher Ruck-Zuck zur Äbtissin gebracht“, neckte ich sie. Sie lächelte und winkte matt ab.
Sekunden später war sie eingeschlafen.
Es blieben noch viele Fragen offen, aber die mussten warten. Wir würden sicher noch ein paar Tage hier verbringen müssen, deshalb sicherte ich, so gut es ging, unser kleines Camp. Die drei Leichen, die noch immer in der Nähe lagen, zerrte ich durch dichtes Gebüsch und ließ sie in einem morastigen Tümpel versinken. Es war nicht so, dass ich hier eine staatsanwaltliche Untersuchung fürchtete, aber das Gefühl, dass Leichen in der Nähe des Lagers herumlagen, war einfach unangenehm. Die Armbrust, mit der einer der Drei auf mich geschossen hatte, betrachtete ich genauer. Sie war schlecht verarbeitet und der Schusskanal verzogen. Überhaupt waren die Kerle ärmlich gekleidet und hatten nichts von Wert bei sich. Ich konnte davon ausgehen, dass es sich um gewöhnliche Wegelagerer handelte und dass kein gezielter Mordanschlag gegen mich oder Antoinette dahinter steckte.
Als ich wieder zurückkehrte, war meine Begleiterin wach. Sie zitterte am ganzen Körper und ihre Haut war heiß und trocken. Auch ohne Thermometer wusste ich, dass das Fieber stieg. Ich hielt ihr einen Becher mit sauberem Wasser und einigen Tropfen Wein an die Lippen, sooft sie mich darum bat. Alle paar Stunden gab ich ihr Antibiotika und Schmerzmittel, die auch das Fieber senken sollten. Trotzdem näherte sich die Temperatur gegen Abend der 41 °C-Marke.
„Wenn die moderne Medizin nicht hilft, helfen Hausmittel“, hörte ich in Gedanken meine Großmutter sagen. Und wirklich: Mit Wadenwickeln konnte ich ein weiteres Ansteigen des Fiebers verhindern.
Gegen Morgen musste ich eingenickt sein. Antoinettes Räuspern weckte mich. Ihre Augen waren klar und wirkten fieberfrei.
„Wenn Ihr nicht wollt, dass ich Eure Hosen nass mache, müsst Ihr mir helfen“, krächzte sie heiser.
Zum ersten Mal fiel mir auf, dass sie dunkelgrüne Augen hatte.
Vorsichtig streifte ich die Hose herab. Aber so sehr ich mir auch Mühe gab, konnte ich doch nicht verhindern, dass sich dabei die Wunde bewegte. Sie stöhnte, aber endlich war es geschafft.
„Und jetzt?“, fragte ich ratlos.
„Grabt ein Loch in den Boden und zieht mich darüber“, stieß sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
Der Untergrund war weich, sodass es kein Problem war, neben ihrer Matte eine handtiefe Mulde auszuheben. Der Urin hatte eine rötlich-dunkelgelbe Farbe, wie ich besorgt feststellte, und das Pinkeln bereitete ihr sichtlich Schmerzen. Aber dann war es geschafft und erleichtert entspannte sie sich. Ich wusch sie, half ihr zurück auf die Matte und schüttete das Loch wieder zu.
„Jetzt sollte ich mir deine Verletzung ansehen“, sagte ich. Vorsichtig löste ich Verband und Pflaster. Die Naht sah gut aus. Die Wundränder waren leicht gerötet, aber es waren keine Anzeichen einer Entzündung oder gar von absterbendem Gewebe auszumachen.
Auch Antoinette musterte mein Werk anerkennend. „Das habt Ihr gut hinbekommen“, lobte sie mich, „seid Ihr ein Bader oder Medicus?“
Nein, nicht ganz. Ein medizinischer Grundkurs war Teil meiner Ausbildung zum Zeit-Agenten gewesen, aber das wäre jetzt zu kompliziert zu erklären gewesen …
„Ich bin hundemüde“, lenkte ich sie ab, „lass uns ein Nickerchen machen.“
„Ja, schlaft ruhig“, sagte sie, „ich werde so lange wachen.“
„Das brauchst du nicht. Wir werden es rechtzeitig merken, falls sich uns jemand nähert.“
Ich gähnte ausgiebig und streckte mich neben ihr aus.
Die Schatten wurden bereits länger, als mich das durchdringende Fiepen des Annäherungs-Alarms aus wirren Träumen riss. Schlagartig war ich wach, entsicherte mein Schießeisen und versuchte, durch das dichte Gebüsch etwas zu erkennen. Lautlos schlich ich mich in die Richtung, die die Elektronik anzeigte. Als ich vorsichtig die Zweige auseinanderbog, mümmelte ein kapitaler Hase an einem Grasbüschel.
Ein Kopfschuss beendete sein Leben und bescherte uns ein leckeres Abendessen.
Dazu leerten wir einen der mitgebrachten Ziegenlederschläuche. Der Wein war etwas abgestanden und entschieden zu warm, aber am romantisch verglimmenden Lagerfeuer erfüllte er seinen Zweck.
„Ihr habt mir immer noch nicht gesagt, wer Ihr wirklich seid, Meister“, begann Antoinette, nachdem sie sich einen Ruck gegeben hatte.
Dafür, dass sie mir das Leben gerettet hatte, hatte sie verdient, dass sie die Wahrheit über mich erfuhr, fand ich. Auch wenn das natürlich einen groben Verstoß gegen alle Vorschriften der Tempus-Organisation darstellte.
Ich sammelte also meine Gedanken und begann zu erzählen.
Etwas weitschweifig, wie ich zugeben muss.
Sie unterbrach mich kein einziges Mal, stellte keinerlei Zwischenfragen, obwohl aus ihrer Sicht Zeit-Expeditionen und alles, was damit zusammenhing, völlig unglaublich klingen mussten.
Erst als ich leises Schnarchen vernahm, wurde mir klar, dass sie eingeschlafen war.
Vielleicht sollte ich bei Gelegenheit an meiner Redekunst arbeiten ...
„Wer oder was seid Ihr eigentlich?“, krächzte sie matt.
Ich schüttelte den Kopf. „Zuerst bist du dran! Wer bist du?“, wollte ich wissen, „du kämpfst wie ein Krieger, aber zu einem Mann fehlen dir eindeutig gewisse Körperteile.“
Sie stöhnte erneut, wurde sogar ein bisschen rot.
„Antoine ist mein Spitzname“, begann sie leise, „eigentlich heiße ich Antoinette.“
„D’Amiens?“, fragte ich.
„Ja und nein. Mein älterer Bruder Godefroid trägt den Titel Comte d’Amien. Ich bin nur Antoinette.“
„Und die Geschichte mit deinem Onkel in Mainz?“, bohrte ich weiter.
„Die stimmt. Mein Onkel hat nur Söhne und sah keine Veranlassung, extra für ein Mädchen eine Erziehung zu organisieren. Also habe ich kämpfen gelernt, wie meine Cousins. Ich kann sogar lesen und schreiben!“, trumpfte sie auf. Das war nun wirklich bemerkenswert für eine junge Frau in dieser Zeit.
„Und wieso bist du nicht mehr in Mainz?“
„Ich war die letzten Monate im Kloster. Im Herbst sollte ich die Gelübde ablegen. Da bin ich ausgerissen und habe mich als Mann durchgeschlagen.“
„Na, so wie du zu fluchen verstehst, hättest du es doch sicher Ruck-Zuck zur Äbtissin gebracht“, neckte ich sie. Sie lächelte und winkte matt ab.
Sekunden später war sie eingeschlafen.
Es blieben noch viele Fragen offen, aber die mussten warten. Wir würden sicher noch ein paar Tage hier verbringen müssen, deshalb sicherte ich, so gut es ging, unser kleines Camp. Die drei Leichen, die noch immer in der Nähe lagen, zerrte ich durch dichtes Gebüsch und ließ sie in einem morastigen Tümpel versinken. Es war nicht so, dass ich hier eine staatsanwaltliche Untersuchung fürchtete, aber das Gefühl, dass Leichen in der Nähe des Lagers herumlagen, war einfach unangenehm. Die Armbrust, mit der einer der Drei auf mich geschossen hatte, betrachtete ich genauer. Sie war schlecht verarbeitet und der Schusskanal verzogen. Überhaupt waren die Kerle ärmlich gekleidet und hatten nichts von Wert bei sich. Ich konnte davon ausgehen, dass es sich um gewöhnliche Wegelagerer handelte und dass kein gezielter Mordanschlag gegen mich oder Antoinette dahinter steckte.
Als ich wieder zurückkehrte, war meine Begleiterin wach. Sie zitterte am ganzen Körper und ihre Haut war heiß und trocken. Auch ohne Thermometer wusste ich, dass das Fieber stieg. Ich hielt ihr einen Becher mit sauberem Wasser und einigen Tropfen Wein an die Lippen, sooft sie mich darum bat. Alle paar Stunden gab ich ihr Antibiotika und Schmerzmittel, die auch das Fieber senken sollten. Trotzdem näherte sich die Temperatur gegen Abend der 41 °C-Marke.
„Wenn die moderne Medizin nicht hilft, helfen Hausmittel“, hörte ich in Gedanken meine Großmutter sagen. Und wirklich: Mit Wadenwickeln konnte ich ein weiteres Ansteigen des Fiebers verhindern.
Gegen Morgen musste ich eingenickt sein. Antoinettes Räuspern weckte mich. Ihre Augen waren klar und wirkten fieberfrei.
„Wenn Ihr nicht wollt, dass ich Eure Hosen nass mache, müsst Ihr mir helfen“, krächzte sie heiser.
Zum ersten Mal fiel mir auf, dass sie dunkelgrüne Augen hatte.
Vorsichtig streifte ich die Hose herab. Aber so sehr ich mir auch Mühe gab, konnte ich doch nicht verhindern, dass sich dabei die Wunde bewegte. Sie stöhnte, aber endlich war es geschafft.
„Und jetzt?“, fragte ich ratlos.
„Grabt ein Loch in den Boden und zieht mich darüber“, stieß sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
Der Untergrund war weich, sodass es kein Problem war, neben ihrer Matte eine handtiefe Mulde auszuheben. Der Urin hatte eine rötlich-dunkelgelbe Farbe, wie ich besorgt feststellte, und das Pinkeln bereitete ihr sichtlich Schmerzen. Aber dann war es geschafft und erleichtert entspannte sie sich. Ich wusch sie, half ihr zurück auf die Matte und schüttete das Loch wieder zu.
„Jetzt sollte ich mir deine Verletzung ansehen“, sagte ich. Vorsichtig löste ich Verband und Pflaster. Die Naht sah gut aus. Die Wundränder waren leicht gerötet, aber es waren keine Anzeichen einer Entzündung oder gar von absterbendem Gewebe auszumachen.
Auch Antoinette musterte mein Werk anerkennend. „Das habt Ihr gut hinbekommen“, lobte sie mich, „seid Ihr ein Bader oder Medicus?“
Nein, nicht ganz. Ein medizinischer Grundkurs war Teil meiner Ausbildung zum Zeit-Agenten gewesen, aber das wäre jetzt zu kompliziert zu erklären gewesen …
„Ich bin hundemüde“, lenkte ich sie ab, „lass uns ein Nickerchen machen.“
„Ja, schlaft ruhig“, sagte sie, „ich werde so lange wachen.“
„Das brauchst du nicht. Wir werden es rechtzeitig merken, falls sich uns jemand nähert.“
Ich gähnte ausgiebig und streckte mich neben ihr aus.
Die Schatten wurden bereits länger, als mich das durchdringende Fiepen des Annäherungs-Alarms aus wirren Träumen riss. Schlagartig war ich wach, entsicherte mein Schießeisen und versuchte, durch das dichte Gebüsch etwas zu erkennen. Lautlos schlich ich mich in die Richtung, die die Elektronik anzeigte. Als ich vorsichtig die Zweige auseinanderbog, mümmelte ein kapitaler Hase an einem Grasbüschel.
Ein Kopfschuss beendete sein Leben und bescherte uns ein leckeres Abendessen.
Dazu leerten wir einen der mitgebrachten Ziegenlederschläuche. Der Wein war etwas abgestanden und entschieden zu warm, aber am romantisch verglimmenden Lagerfeuer erfüllte er seinen Zweck.
„Ihr habt mir immer noch nicht gesagt, wer Ihr wirklich seid, Meister“, begann Antoinette, nachdem sie sich einen Ruck gegeben hatte.
Dafür, dass sie mir das Leben gerettet hatte, hatte sie verdient, dass sie die Wahrheit über mich erfuhr, fand ich. Auch wenn das natürlich einen groben Verstoß gegen alle Vorschriften der Tempus-Organisation darstellte.
Ich sammelte also meine Gedanken und begann zu erzählen.
Etwas weitschweifig, wie ich zugeben muss.
Sie unterbrach mich kein einziges Mal, stellte keinerlei Zwischenfragen, obwohl aus ihrer Sicht Zeit-Expeditionen und alles, was damit zusammenhing, völlig unglaublich klingen mussten.
Erst als ich leises Schnarchen vernahm, wurde mir klar, dass sie eingeschlafen war.
Vielleicht sollte ich bei Gelegenheit an meiner Redekunst arbeiten ...