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Zwillinge - Teil 1 von 4

Verfasst: 20 Okt 2014, 16:30
von bluemoon
Bei dieser Geschichte habe ich etwas mit dem Erzähltempo experimentiert. Es geht zwar zur Sache, aber das dauert und steigert sich gaaaanz langsam …
Also nur was für Genießer und nichts für rein-rauf-runter-raus-Typen ;-)

…und: Ja, es ist mal wieder eine längere Geschichte geworden :?

Teil 1 von 4:

-- 1 --

„Und? Was wollt ihr mit eurem ersten Ferientag anfangen?“, fragte Mutter.
Birgit und ich sahen uns schulterzuckend an.
Die meisten unserer Freunde waren im Urlaub. Außer Jan und Christine. Die hatten es noch schlechter als wir und mussten ihren Eltern im Gasthof helfen.

Mutter, Birgit und ich fuhren so gut wie nie in Urlaub. Ständig war das Geld knapp und was Mutter als Krankenschwester im Schichtdienst nach Hause brachte, reichte gerade so für das Nötigste. Unseren Vater hatten wir nie kennengelernt. Der hatte sich schon kurz vor unserer Geburt vom Acker gemacht.

„Wie wäre es mit Schwimmbad?“, schlug Mutter vor. Natürlich hatte sie wieder Gewissensbisse, dass sie uns nicht all das bieten konnte, was für unsere Klassenkameraden ganz selbstverständlich war. Der Vorschlag riss uns beide aber nicht gerade vom Hocker. Jetzt im Sommer hatte das Kur- und Thermalbad geschlossen und damit war das Freibad übervölkert von alten Frauen, deren Cellulitis-Krater an den schwabbeligen Schenkeln so groß waren, dass man sie als Halfpipe verwenden konnte. Von den zahllosen kurenden und schmerbäuchigen männlichen Oldtimern ganz zu schweigen ...

„Baden ist gut bei dem Superwetter!“, rief meine Schwester, „aber statt zum Schwimmbad könnten wir zum Albsee radeln. Das kostet auch keinen Eintritt“, fügte sie rasch hinzu, als sich Mutters Gesicht in Sorgenfalten legte.
„Meinetwegen, ihr seid ja zu zweit“, seufzte sie, „passt aber gut auf euch auf! Auch du, Alex! Dort oben ist es einsam. Wenn euch etwas passiert, seid ihr völlig allein.“
„Ja, Mama ...“, stöhnten wir im Chor und sausten schon aus der Küche.
„Bevor es dunkel wird, seid ihr aber wieder zu Hause!“, rief sie uns noch nach.

Wir packten die große Kühltasche und wuchteten sie mitsamt Badetüchern auf die Räder.
Die ersten Kilometer fuhren wir auf der Landstraße. Dann bogen wir in einen ausgefahrenen Feldweg, der zur Seebach-Alm hinaufführte. Etwa auf halber Höhe zweigte ein zugewucherter Holzabfuhrweg ab, der so steil war, dass wir die Räder nur noch schieben konnten.
Der Weg endete an einer kleinen Lichtung. Schweißüberströmt zerrten wir die Taschen von den Gepäckträgern und keuchten zu Fuß weiter. Der schmale Pfad war stellenweise kaum sichtbar.
Endlich - direkt an der Baumgrenze - erreichten wir unser Ziel.
Still und einladend lag der kleine See. In seiner Oberfläche spiegelten sich glasklar die Berge und der wolkenlose Himmel. Ringsum war er von niedrigem Gebüsch und verkrüppelten, harzigen Bäumen umwuchert. Wie erwartet, war weit und breit kein Mensch zu sehen.
Wir gingen zu der Stelle hinüber, an der ein kleiner Bach einen Zulauf bildete. Dort befand sich eine Art Strand mit feinem Kies, auf dem wir die Handtücher ausbreiteten.

Voller Vorfreude auf eine kühle Erfrischung rissen wir uns T-Shirts und Shorts herunter. Wir hatten schon zu Hause Badesachen angezogen. Dann stürmten wir ins Wasser.
Die erste Berührung war wie ein Schock.
„Scheiße, ist das kalt!“, entfuhr es Birgit.
Sie stand bis zu den Knien im Wasser, während ich mich zwang, weiter zu gehen.
Das Naß war so klar, dass ich jedes Steinchen auf dem Kiesgrund erkennen konnte.
Als es über meine Hüfte schwappte, blieb mir die Luft weg.
Natürlich musste ich beweisen, dass ich kein Weichei war, ließ mich fallen und tauchte vollständig unter.
Prustend kam ich wieder hoch und hatte einen Moment lang das Gefühl, meine Kopfhaut würde platzen.

Birgit stand immer noch in Ufernähe.
„Hey, Schwesterchen, was ist? Traust du dich nicht rein?“, neckte ich sie.
Statt einer Antwort griff sie eine Handvoll Kies und schleuderte sie nach mir.
Ich war darauf vorbereitet und tauchte einfach unter.

„Schwesterchen“ oder „kleine Schwester“ sind absolute Reizwörter für sie.
Obwohl es stimmte, wie meine Mutter allen Leuten immer wieder erzählte: Ich bin exakt drei Minuten älter als Birgit und habe damit eindeutig das Recht, mich „großer Bruder“ und sie „kleine Schwester“ zu nennen!
Ich wollte sie noch ein bisschen foppen, brachte aber vor Zähneklappern keinen Laut mehr heraus. Krebsrot und mit schlotternden Knien kroch ich aus dem eisigen Wasser und schleppte mich zu meinem Handtuch.

Birgit folgte mir und legte sich ebenfalls in die Sonne.
Frech grinsend betrachtete sie meine Körpermitte.
„Du solltest mal nachsehen, ob du nicht wichtige Körperteile im Wasser verloren hast. Deine Hose sieht nämlich ziemlich leer aus.“
Autsch! Das war also ihre Retourkutsche.
Unwillkürlich zog ich den Bund der Badehose nach außen und spähte hinein.
Birgit lachte auf, als sie meinen zweifelnden Gesichtsausdruck sah.
Das schrumpelige winzige Etwas, das sich da zwischen den Schenkeln befand, war wirklich nicht der Rede wert! Ich erkannte es kaum wieder.
OK, sie hatte den kleinen Schlagabtausch gewonnen. Ich drehte mich auf den Bauch und ließ mich wohlig von der Sonne aufwärmen.

„Kannst du mir mal was zu trinken reichen?“, bat ich sie faul.
„Saft oder ein Starkbier?“, fragte sie zurück.
„Was, du hast Bier geschmuggelt?“ Fassungslos starrte ich sie an.
„Nur zwei Flaschen, mehr hätte Mama bemerkt“, grinste sie.
Ich hatte mich schon gewundert, warum die Kühltasche so schwer gewesen war.

Sie öffnete den Kronkorken und wir ließen die Flasche zwischen uns hin- und herwandern.
Ich hatte natürlich früher schon Bier getrunken, wusste aber aus leidvoller Erfahrung, dass ich keine größeren Mengen vertrug. Nach einer einzigen Flasche konnte ich bereits nicht mehr geradeaus gehen. Auch jetzt spürte ich die Wirkung des Alkohols nach wenigen Schlucken.
„Ich glaube, ich sollte mal was essen“, brachte ich mit leichten Schwierigkeiten hervor.
„Gute Idee. Packst du mal die Brote aus? Die sind in der blauen Tasche.“
„Blaue Tasche?“ Mein Gehirn arbeitete in Zeitlupe.
Birgit sah sich suchend um.
Unser Gepäck war sehr überschaubar: Neben der Kühlbox lagen die Klamotten und der Stoffbeutel, in dem wir Handtücher und Sonnencreme transportiert hatten. Keine Spur von einer blauen Tasche.
„Verdammt!“, fluchte meine Schwester, „die liegt noch zu Hause im Flur.“
„Heißt das, dass wir überhaupt nichts zu essen dabei haben?“, fragte ich mit schwerer Zunge.
„Du hast es erfasst, Bruderherz.“
Na, Prost, Mahlzeit. Seufzend nahm ich noch einen Schluck und überließ ihr den Rest.
Ihr war der Alkohol überhaupt nicht anzumerken, obwohl sie mehr vom Starkbier getrunken hatte, als ich.

Birgit kramte nach dem Sonnenschutzmittel und begann, sich einzureiben.
Träge beobachtete ich ihre geschmeidigen Bewegungen, wie sie konzentriert und gleichmäßig die Creme auf ihrer Haut verteilte. Wieder einmal staunte ich, wie ähnlich wir uns sehen:
Die gleiche helle Haut, dasselbe strohblonde Haar, denselben hoch aufgeschossenen Körper - das mussten wir wohl von Vater geerbt haben. Unsere Mutter dagegen ist eher klein und dunkel. Als wir noch jünger waren, haben wir oft versucht uns vorzustellen, wie unser Erzeuger wohl gewesen sein könnte.
Fremde halten uns oft für eineiige Zwillinge, was natürlich Quatsch ist, denn sonst hätten wir dasselbe Geschlecht.
Nun bilden sich nach und nach mehr Unterschiede heraus: Birgits Hüften runden sich, meine Schultern legen etwas Muskelmasse zu - allerdings längst nicht so viel, wie mir lieb wäre ...

„Hilfst du mir mal mit dem Rücken?“, unterbrach sie meine Gedanken.
Ich spritzte mir die warme Sonnenmilch in die Handfläche und verteilte sie auf ihren Schultern.
„Mach mal den BH auf, sonst schmiere ich ihn völlig ein!“
„Das ist kein BH, sondern ein Bikini“, klärte sie mich auf.
„Egal, das Band ist trotzdem im Weg“, brummelte ich.
Sie löste den Knoten, sodass der Stoff wie ein Lätzchen vor ihrem Hals baumelte.
„Warum ziehst du das Ding nicht ganz aus? Ist doch sonst niemand da.“
„Du bist da“, antwortete sie spitz.
Ich verdrehte die Augen. „Hallo? Nur zur Erinnerung: Ich bin dein Bruder! Glaubst du, dass ich dir etwas weggucken könnte?“
Zögernd streifte sie das Oberteil ab, blieb aber von mir abgewendet.

Obwohl ich mir nichts anmerken ließ, wurde mir auf einmal flau.
Birgits sonnenwarme Haut unter meinen Händen, die glitschige Creme und die Vorstellung, dass ihre Brüste nur ein paar Zentimeter entfernt waren ...
‚Reiß dich zusammen!‘, schalt ich mich selbst. So etwas durfte ich nicht einmal denken!
Ruppig, um Fassung bemüht, rieb ich ihr über den Rücken bis zum Bund der Badehose.
Dann legte ich mich wieder bäuchlings auf mein Handtuch.

„So, jetzt bist du dran!“, befahl sie, „wenn du dich nicht einreibst, siehst du heute Abend aus wie ein gekochter Hummer.“
Natürlich hatte sie recht, aber als harter Kerl durfte ich das ja nicht einfach zugeben.
Also drehte sie die Flasche mit der Sonnenmilch auf den Kopf und spritzte das Zeug großzügig auf meinen Rücken.
Es kitzelte und ich wand mich protestierend.
Dann schwang sie ein Bein über meinen Po, setzte sich rittlings darauf und begann, die Flüssigkeit zu verreiben.
Dabei verlor sie das Gleichgewicht, plumpste seitlich ins Gras und wuchtete sich albern wiehernd wieder auf meinen Hintern.
So ganz spurlos war der Alkohol wohl doch nicht an ihr vorbei gegangen …

Ich genoss ihre Berührungen! Ihre kräftigen Hände auf meinen Schultern, die einfühlsam und sorgfältig jeden Quadratzentimeter Haut einrieben. Ihr Gewicht und die Bewegungen auf meiner Hüfte, wenn ihre Handflächen an meinen Armen und an den Flanken herabstrichen.
Zu meinem Entsetzen merkte ich, dass ich eine heftige Erektion bekam, die sich schmerzhaft in den Kies unter dem Handtuch bohrte.
‚Hey, Mann, das ist deine Zwillingsschwester!‘, versuchte ich mich abzulenken.
Vergeblich.

Birgit klatschte mir kräftig auf die Pobacke.
„Fertig! Dreh dich um, jetzt ist die Vorderseite dran.“
„Geht nicht“, murmelte ich verlegen.
„Wieso nicht?“, fragte sie verwundert.
„Erstens sitzt du auf mir drauf und zweitens muss die Creme am Rücken erst noch einziehen“, versuchte ich, das Unvermeidliche noch hinauszuzögern.
„Blödsinn!“, wiegelte sie ab, ging in die Hocke und zerrte mich unsanft herum.

Sie bemerkte die Beule in meiner Badehose erst, als sie sich wieder auf meiner Hüfte niederlassen wollte.
Sie zögerte.
„Aha“, sagte sie gedehnt, „ist ja doch nichts im kalten Wasser verloren gegangen ...“
Ich wurde rot. „Sorry, ich kann nichts dafür ...“, stammelte ich verlegen.
Birgit setzte dieses diabolische Grinsen auf, während sie sich ungeniert wieder auf mir niederließ und mir Bauch und Brust mit Sonnenmilch zukleisterte.
Ihre Augen sprühten und sie genoss die Situation offensichtlich, in der sie den ‚großen‘ Bruder völlig in der Hand hatte.

Ich stöhnte, schloss die Augen und versuchte, stumm das kleine Einmaleins aufzusagen. Dann das große.
Es war einfach zu viel!
Der Anblick von Birgits kleinen Brüsten mit dem flachen Bauch über mir, ihre flinken Hände überall auf meinem Körper und die rhythmischen Schaukelbewegungen auf meinem besten Stück ... ich explodierte fast.
Intensiv drückte sich ihr Schambein zwischen meine Beine.
„Hör auf!“, rief ich und packte sie an den Oberarmen.
Sie grinste immer noch, inzwischen selbst ziemlich außer Atem.
So hatte ich meine Schwester noch nie erlebt.
Sie war völlig von der Rolle.
„Gefällt’s dir etwa nicht?“, fragte sie nun ängstlich.
„Doch, nein, schon“, schnaufte ich, „scheiße, das dürfen wir einfach nicht“, rief ich, „wir sind Geschwister!“

Das wirkte wie ein Schlag ins Gesicht. Sie wurde feuerrot und starrte mich an.
Bis heute verfolgt mich dieser zutiefst verstörte und verletzte Blick, in dem sich nun abgrundtiefe Scham breitmachte.
Mit einem gequälten Aufschrei schlug sie die Hände vors Gesicht, rappelte sich mühsam hoch und taumelte zur Seite.
Wie vom Blitz gefällt stolperte sie, fiel der Länge nach hin und krümmte sich auf dem Boden zusammen.

Panik loderte in mir auf. Was passierte hier bloß?

Vorsichtig ging ich zu ihr hinüber und berührte sie sanft an der Schulter.
„Hau ab!“, schrie sie weinend und rutschte von mir weg, als ob sie Angst vor mir hätte.
Wie gelähmt stand ich da, fassungslos vor Schmerz.

Ich traute mich nicht, sie noch einmal zu berühren.
Stattdessen setzte ich mich, wo ich gerade stand, betrachtete ratlos ihren von Schluchzern geschüttelten Körper.

Die Schatten waren schon ein gutes Stück länger geworden, bevor das Weinen langsam nachließ.
Endlich richtete sie sich auf, mied aber meinen Blick.
Sie musste mehrfach ansetzen, und als sie schließlich krächzend sprach, war sie kaum zu verstehen.
„Verachtest du mich jetzt?“

Mir fiel der Kinnladen herab.
Das hatte ich am allerwenigsten erwartet.
Mit zwei Sätzen war ich bei ihr, riss sie vom Boden hoch und schlang meine Arme um sie.
„Natürlich nicht! Niemals!“, stieß ich hervor, „wir gehören zusammen und nichts - absolut gar nichts - kann das jemals ändern.“
Ich spürte, wie die Anspannung in ihr nachließ. Sie begann erneut zu weinen, diesmal aber nicht mehr aus Verzweiflung.
„Ich liebe dich, Alex“, hauchte sie.
„Ich dich auch“, antwortete ich automatisch.
Erst später dämmerte mir, dass das auch eine ganz andere Bedeutung haben konnte.


-- 2 --

Schweigend zogen wir uns an, suchten unsere Sachen zusammen und fuhren nach Hause.
In diesem Moment verstanden wir nicht, was passiert war.
Erst viel später wurde uns klar, dass wir als Kinder an unseren See gefahren waren. Als Erwachsene sind wir ein paar Stunden darauf zurückgekommen.

In der Nacht träumte ich immer wieder, wie Birgit auf meiner Hüfte saß.
Mal hatte sie eine Spitzhacke in der Hand, mit der sie auf mich eindrosch. Ein anderes Mal kratzte ich ihr die Brüste blutig und sie lachte irre dazu. Gegen Morgen träumte ich, dass wir beide nackt wären, und ich verzweifelt versuchen würde, in sie einzudringen. Aber je mehr ich mich anstrengte, um so weiter wich sie zurück, bis sie schließlich unerreichbar hinter einer Nebelwand verschwand.
Als ich aus dem Schlaf fuhr, war mein Kissen nass von Tränen und meine Schlafanzughose glitschig feucht.

Birgit ging mir die nächsten Tage aus dem Weg, verkroch sich in ihrem Zimmer und gab nur sehr einsilbige Antworten, wenn jemand sie etwas fragte.
Natürlich spürte unsere Mutter, dass etwas vorgefallen war.
„Habt ihr euch gestritten?“, wollte sie wissen
Birgit schüttelte den Kopf und ich winkte müde ab.
„Zwillinge!“, fauchte sie, „alles müsst ihr unter euch ausmachen.“

Als wir bei einem sehr schweigsamen Abendessen zusammensaßen, gab sich Mutter sichtlich einen Ruck.
„Wir müssen etwas besprechen“, begann sie. Birgit und ich sahen sie fragend an.
„Rita, meine Kollegin, hatte sich für nächste Woche für eine Fortbildung angemeldet. Jetzt ist sie krank geworden und ich habe die Chance, selbst teilzunehmen.“
„Ist das die Fortbildung, die so teuer ist?“, fragte ich.
Mutter hatte uns davon erzählt. Mit dieser Zusatzqualifikation könnte sie sich zwar innerhalb des Klinikums auf eine besser bezahlte Stelle versetzen lassen. Aber die Kursgebühren waren für uns unerschwinglich.
„Genau. Da Rita so kurzfristig nicht mehr zurücktreten kann, könnte ich für sie daran teilnehmen - und das für ein Ei und ein Butterbrot.“
„Mensch, dann mach das doch!“, platzte Birgit heraus.
Wir wussten schließlich, wie gern sie sich qualifizieren würde.

„Aber was macht ihr dann so lange?“, fragte sie zweifelnd.
„Wir hüten einfach das Haus“, sagte Birgit leichthin, „das schaffen wir schon, oder?“
Sie warf mir einen fragenden Blick zu.
„Klar doch!“ Was sollte ich auch sonst antworten.
„Auf keinen Fall“, entgegnete Mutter scharf, „ich kann euch unmöglich eine ganze Woche alleine lassen.“
„Mama!“, stöhnten wir unisono.
„Außerdem merke ich doch, dass seit ein paar Tagen irgendetwas zwischen euch nicht in Ordnung ist. Wie könnte ich dann einfach gehen?“

Darauf senkten wir beschämt unsere Köpfe.
Irgendwie mussten wir es Mama doch ermöglichen können, dass sie die Chance nutzen konnte, auf die sie brannte!
„Vielleicht können wir für ein paar Tage zu Tante Liese fahren“, meinte Birgit lahm, wobei sie bewusst meinem Blick auswich.
Oh Gott, alles, bloß nicht zu Tante Liese!
Die ältere Schwester unserer Mutter war ein Drachen. Eine verbitterte alte Jungfer, die noch im vorletzten Jahrhundert lebte.
Beim letzten Besuch wollte sie aus mir einen Musterknaben machen und an Birgit hatte sie ständig etwas herumzunörgeln.
Selbst Mama schien zu zögern. „Wollt ihr wirklich zu Liese?“, fragte sie zweifelnd.

Da hatte ich auf einmal einen Geistesblitz!
Schon länger grübelte ich darüber nach, wie ich meine Schwester dazu bringen könnte, endlich wieder mit mir zu reden. Wir litten beide unter der angespannten Situation. So Vieles war unausgesprochen und blieb ungeklärt. Ich hatte das Gefühl, als würden wir uns immer weiter voneinander entfernen.
Nun beschloss ich, alles auf eine Karte zu setzen.
„Der neue Pfarrer aus dem Nachbarort organisiert doch das Zeltlager für nächste Woche! Da melden wir uns einfach an“, rief ich begeistert.
Birgit sah mich verblüfft an. Ich konnte förmlich sehen, was sie dachte.
Zeltlager? Kirchenlieder am Lagerfeuer? Diskussions-Gruppen über Bibel-Texte mit Hagebutten-Tee?
Dann doch lieber Oberfeldwebel Liese!!
Wir waren alle drei keine Kirchgänger und hatten mit solchen Aktionen wenig am Hut.
Selbst Mutter war überrascht von meiner Begeisterung. Vom neuen Pfarrer hatte sie zwar schon gehört, brannte aber nicht gerade darauf, ihn kennenzulernen.
Genau darauf zielte mein Plan ab: Sie würde kaum jemals mit ihm über das Zeltlager reden.
„Ich rufe gleich mal an und frage, ob noch Plätze frei sind“, erbot ich mich und lief in den Flur, in dem das Telefon stand.
„Es ist tatsächlich noch etwas frei“, jubelte ich kurze Zeit später, „wir müssen nur unser eigenes Zelt und Schlafsäcke mitbringen.“

Birgit starrte mich an, als wäre mir gerade ein dritter Arm gewachsen.
Mutter dagegen schöpfte Hoffnung, doch noch ihre Fortbildung zu bekommen und fragte: „Ja, wenn ihr das wirklich wollt, habe ich natürlich nichts dagegen. Bestimmt tut es euch gut, mal eine Woche unter Gleichaltrigen zu sein.“
Resigniert signalisierte mein Schwesterchen Zustimmung. Sie brachte es nicht übers Herz, Mutter zu enttäuschen.

Den nächsten Tag verbrachten wir damit, das alte Zelt und unsere Schlafsäcke zu überprüfen. Auch Mama packte ihre Sachen für die Fortbildung zusammen.
Einmal gab es eine kritische Situation, als sie unbedingt im Pfarramt anrufen wollte, um eine Telefonnummer für Notfälle zu erhalten. Handys gab es damals noch nicht.
„Mama, wo willst du denn anrufen? Im Zeltlager mitten im Wald?“, fragte ich alarmiert.
„Ich will euch nicht anrufen“, entgegnete sie, „sondern nur die Sicherheit haben, dass ich euch erreichen kann, falls etwas passiert.“
„Was soll denn schon passieren? Mama, weißt du, wie peinlich das ist, wenn die anderen Kids das erfahren?“
Seufzend gab sie schließlich nach und verzichtete darauf, mit dem Pfarrer zu sprechen.
Ich fühlte mich unglaublich mies, weil ich sie hinterging. Aber ich sah keine andere Möglichkeit.

Endlich ging es los.
Wir schwangen uns auf die bepackten Räder, um in den Nachbarort zu fahren. Von dort sollte uns ein Bus zusammen mit den anderen ins Zeltlager bringen. Zumindest hatte ich das Mutter und Birgit weisgemacht.
Früh am nächsten Morgen sollte Mama dann zu ihrer Fortbildung aufbrechen.
Und in einer Woche würden wir alle wieder zuhause zusammenkommen.

Nach ein paar Kilometern Landstraße bog ich in den Weg zur Seebach-Alm ein.
„Wo willst du denn hin?“, fragte Birgit ahnungslos.
„Zum Albsee“, gab ich mit fester Stimme zurück und warf mein Rad ins Gras.
Ich wappnete mich innerlich für die Auseinandersetzung, die nun unweigerlich folgen würde.

Zunächst war meine Schwester einfach nur verdattert.
„Ja, und das Zeltlager?“
„Ich habe uns zu keinem Zeltlager angemeldet“, antwortete ich.
Jetzt wurde es Birgit zu viel. Auf ihrer Stirn erschien eine steile Falte.
„Hör zu!“, redete ich rasch weiter, „wir können doch so nicht weitermachen. Wir müssen uns unbedingt aussprechen. Und ich denke, das geht am besten dort oben am See, wo alles angefangen hat.“

„Du bist ja komplett durchgeknallt!“, schrie sie mich nun an, „hast du das mit dem Zeltlager etwa nur erfunden? Und Mama und mich die ganze Zeit angelogen?“
Meine schuldbewusste Miene verriet die Wahrheit.
„Mama hätte uns nie für eine Woche alleine zum See gelassen. Wir müssen reden, Birgit!“, versuchte ich mich zu verteidigen.
„Reden, reden“, rief sie aufgebracht, „dafür hättest du nicht lügen müssen. Das hätten wir auch zuhause gekonnt.“
„Nein, hätten wir nicht“, widersprach ich, „ich habe es mehrmals versucht, aber du hast immer abgeblockt.“

Jetzt war es an Birgit, schuldbewusst dreinzuschauen.

„Sieh mal“, fuhr ich behutsam fort, „Mama bekommt ihre Fortbildung und macht sich um uns nicht allzu viel Sorgen, weil sie denkt, dass wir gut aufgehoben sind. Und wir haben eine ganze Woche Zeit, um uns wieder zu vertragen.
Du weißt genau, dass es für Zwillinge nur zwei Möglichkeiten gibt“, ich sprach immer schneller und eindringlicher. „Entweder wir sind Freunde oder erbitterte Feinde. Dazwischen gibt es nichts.“

Verständnislos schüttelte Birgit den Kopf.
„Du spinnst doch! Glaubst du allen Ernstes, ich komme einfach mit dir eine Woche zum Zelten, während wir Mama vorgespielt haben, dass wir auf einer Kirchenfreizeit sind?
Nie im Leben! Ich fahre wieder nach Hause. Mama fährt ja erst morgen weg.“
Sie schob ihr Rad wieder auf die Straße zurück.

„Da ist vielleicht unsere letzte Chance, Birgit“, sagte ich leise, „überlege dir gut, was du tun willst. Ich gehe jedenfalls dort hinauf und warte auf dich. Bitte komm nach! Du bist mir sehr wichtig.“
Die letzten beiden Sätze krächzte ich mit zugeschnürter Kehle.
Ich war nicht sicher, ob Birgit mich überhaupt gehört hatte.
Ich schwang mich wieder aufs Rad und trat in die Pedale, ohne mich noch einmal umzusehen.
Blind vor Tränen hatte ich große Mühe, meinen Weg zwischen den Schlaglöchern hindurchzufinden.

Als ich an der Lichtung angekommen war, an der der Weg aufhörte und der schmale Pfad begann, zitterten meine Beine vor Anstrengung. Ich ließ mich ins Gras fallen und schloss die Augen.


-- Forsetzung in Teil 2 --

Re: Zwillinge - Teil 1 von 4

Verfasst: 20 Okt 2014, 20:24
von cutielover
wieder einmal ein sehr geiler Einstieg... da kann man ja nur gespannt auf teil 2 warten :)

Re: Zwillinge - Teil 1 von 4

Verfasst: 21 Okt 2014, 12:54
von bruno60
Hallo bluemoon,

das gibt jetzt wohl gar eine dramatische Liebesgeschichte ?

Re: Zwillinge - Teil 1 von 4

Verfasst: 12 Mai 2016, 12:51
von Benutzer 2042 gelöscht
Ein rund-um gelungener "Opener" . . . was soll man da noch groß mehr sagen?

Re: Zwillinge - Teil 1 von 4

Verfasst: 13 Mai 2016, 00:52
von rudi1986
WOW , freu mich schon auf die Fortsetzung !!!